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COVID-19 Patienten sterben an ARDS – akutem Lungenversagen. Gedanken eines ehemaligen ARDS Patienten

24. April 2020

 «Gedanken des an ARDS erkrankten Unternehmers Andy Keel zum Kollektiv, zu Dankbarkeit und unserer Vollkasko Mentalität. Ein Plädoyer für einen liberalst möglichen weiteren Verlauf des Corona Lockdowns und zur Adjustierung unseres Systems.»

ARDS:

Genau vor 3 Jahren – zu Ostern 2017 – wurde ich als damals 38 jähriger (Ruhepuls 55), in kritischem Zustand (ich meinte es sei eine Grippe) in das Universitätsspital Zürich (USZ) eingeliefert. Um eine Haaresbreite wäre ich damals einer bis heute ungeklärten Infektion erlegen. Durch die Überreaktion des Körpers (Ruhepuls 110 im Spitalbett) hat meine Lunge angefangen zu versagen. Es ist das gleiche Krankheitssymptom, welches die Corona Intensivpatienten haben: ARDS. Die Lungenbläschen können den Sauerstoff nur noch ungenügend aufnehmen. Bei vollem Bewusstsein realisiert man, dass man langsam erstickt. Als letzte Destination in einer langen Eskalationskette steht die künstliche Beatmung. Die Sterblichkeit von ARDS liegt bei 50%, oft auch durch Nieren- oder Herzversagen.

Zürich ist nicht Bergamo

Während 2 Wochen wurde ich 24 Stunden von den gleichen Pflegern, aufgeteilt in 3 Schichten, am Leben erhalten. Die Organisation und Professionalität des USZ hat mich tief beeindruck, aber auch das persönliche Engagement und Empathie der Pflegenden. Nicht auszumalen, wäre ich in Bergamo – Spanien oder in den USA behandelt worden. Wenn wir die weiteren Corona Lockdown Massnahmen festlegen, sollten wir dies in Betracht ziehen und uns nicht ständig z.B. mit Italien vergleichen. Die Schweiz kann sich mit ihrem Gesundheitssystem einen äusserst liberalen Weg leisten, nicht einmal das Spital in Lugano kam an die Kapazitätsgrenzen.

Verpflichtung dem Kollektiv

Ich bin auch heute noch tief dankbar, dass mir damals im USZ das Leben gerettet wurde, dass die anderen Versicherten bei ATUPRI meine Spitalrechnung bezahlt haben und dass ich mit 41 in der ersten Verlängerung spielen darf. Diese Zugabe wünsche ich allen COVID-19 Intensivpatienten von Herzen.

Was mich dieses Nahtoderlebnis aber auch gelehrt hat ist, dass diese Zugabe verpflichtet sich am Kollektiv zu revangieren. Es verpflichtet Gutes zu tun, meine Mitarbeitenden fair mit 100% weiter zu bezahlen, der Gastro Unternehmerin die Miete zu erlassen, den Finger zu heben, wenn Dinge schieflaufen. Nachhaltigkeit zu leben.

Es verpflichtet aber auch die pensionierte Generation (wegen derer wird zuhause geblieben sind) – in einem Akt der Solidarität – einen Beitrag zum Corona Schuldenberg zu leisten, den die Gen X und Y abtragen muss.

Reha – Unsere Medizin kennt keine Altersgrenzen

Die Infektion hat mich damals auf 60 kg dahingerafft. Ich verlor innerhalb von 2 Wochen 20 kg, fast sämtliche Muskelmasse. Meine Lunge war dermassen schlecht, so dass ich für 4 Stockwerke in die Wohnung ganze 5 Minuten brauchte. Mit eisernem Willen – und einem Body Memory vom ehemaligem Leistungstraining – gelang mir die Reha alleine in 3 Monaten. Dieses Comeback haben wohl die allermeisten COVID-19 Intensiv-Patienten nicht. Das Durchschnittsalter im Kanton Zürich in den Intensivstationen ist über 70 Jahre.

Haben wir solche Intensivpatienten jemals gefragt, ob sie diesen Weg überhaupt gehen möchten?

Unsere Medizin kennt keine Altersgrenzen, der Staat widersetzt sich einer ethisch-moralischen Diskussion seit Jahrzehnten (und führt stattdessen Krankenkassenverbilligungen ein). Wir argumentieren mit «flatten the curve» um die kritische ICU Kapazität nicht zu überschreiten. Doch liegt diese kritische Kapazität nicht bei einem Vielfachen der Modellrechnungen?

Vollkasko

In unserer Vollkasko Mentalität – in der auch ich lange lebte – haben wir verlernt Risiken intuitiv richtig einzuschätzen und mit Risiken zu leben. Die Risiken, welche ich als mehrfacher (Jung-) Unternehmer eingehe, bereiteten und bereiten mir auch heute noch schlaflose Nächte. Wir haben keine Kapitaldecken – alles ist selbst erarbeitet (Bootstrapping). Der Lockdown hatte uns über Nacht an den Lisengrat beim Säntis gestellt. Drei Firmen sind wieder auf den Beinen, bei einer Firma mussten wir schmerzliche Einschritte machen. Wir werden Euch retten – koste es was es wolle. Das ist purer Populismus. Es gab und wird nie eine Vollkasko vom Staat geben. Es ist viel mehr der Staat, welcher jetzt sehr schnell lernen muss mit dem COVID-19 Risiko umzugehen.

Adjustierung

In meinen 4 Betrieben gibt es keinen Leverage – kein global scale. Es ist Handwerk, Gender Diversity Beratung, Flexwork, …all das, von dem wir gerade wieder anfangen zu reden. Buy local, bleibende Werte, Gleichstellung, Homeoffice, … als hätte ich es voraus geahnt als cleverer Geschäftsmann.

Nein.

Es ist viel simpler – es sind die Grundwerte, welche mir meine Eltern beigebracht haben, die prägenden Erfahrungen in Konzernen und ARDS, was mir geholfen hat, meine Karriere und Tätigkeiten nochmals neu zu adjustieren.

Insofern hoffe ich, dass es nach dem COVID-19 Lockdown gelingt – uns als Gesellschaft, Staat, Unternehmen und Individuum neu zu adjustieren. (Vgl. dazu mein Appell an die Gen X)

Andy Keel ist parallel Unternehmer und Keynote Speaker